Völlig verfahren und konfus

„Am Ende wird alles sichtbar“ von Peter Keglevic

von Renate Wagner

Am Ende wird alles sichtbar
Österreich 2023

Drehbuch und Regie: Peter Keglevic
Nach dem Roman von August Schmölzer
Mit: Harald Schrott, Erika Marozsán, August Schmölzer, Robert Stadlober u.a.
 
Auch August Schmölzer zählt zu den durchaus zahlreichen Schauspielern, die da Bedürfnis hegen zu schreiben. In seinem Fall sind es keine Memoiren, sondern da kam schon ziemlich viel Belletristisches zusammen. Darunter vor knapp zehn Jahren der damals so betitelte Roman „Der Totengräber im Buchsbaum“, der nun von Peter Kegelvich unter dem (auch nicht allzu glücklichen) Titel „Am Ende wird alles sichtbar“ verfilmt wurde (die Neuauflage des Buchs ist dann auch so benannt).
Allerdings ist auch dieser österreichische Film, wie mancher andere, der scheinbar „echte“ Schicksale aufzeigen will, eine Enttäuschung – nicht nur, weil er sich ziemlich lahm dahin schleppt, sondern weil er so gut wie kein Klischee ausläßt. Wieder kommt ein Mann in das Heimatdorf, in das leere Haus der Eltern zurück, wieder wird er mit Mißtrauen betrachtet, wieder geht es um irgendwelche Geheimnisse aus der Vergangenheit, die tunlichst verdeckt bleiben sollen – hatten wir das als weibliche Version nicht gerade auch in „Wald“ nach dem Roman von Doris Knecht?
 
Hier geht es natürlich (das unerschöpfliche Thema) um die Verbrechen der nationalsozialistischen Vergangenheit, obwohl die Tendenz der Österreicher, in den Nachkriegsjahren möglichst alles zu vertuschen, immer und immer betont und angeklagt wurde, ohne daß es offenbar je aufgearbeitet sein wird. 1940 hat man den jungen Josef Wagner aus seinem Dorf weggeholt zur Armee, immer schon wollte er Fotograf werden, bei der Wehrmacht durfte er deren Heldentaten fotografieren, etwa eine Massenhinrichtung in seinem eigenen Heimatort. Nach dem Krieg wurde er internationaler Fotograf, und es dauerte fast ein Vierteljahrhundert, bis er Mitte der Sechziger Jahre zurück kam.
Er findet alles in lebhaftem Wirtschaftswunder-Aufschwung, wobei man dem Drehbuchautor Peter Keglevic schon sagen muß, daß die Ausführlichkeit, mit der hier im Dorf musiziert und getanzt wird, jenseits jeglicher Glaubwürdigkeit ist. Jeder weiß, daß Josef Augenzeuge der Erschießung war, von der keiner mehr etwas wissen will.
Dann gibt es eine Menge Nebenhandlungen, die zu nichts führen, nicht die Mordserie an den kleinen Buben im Dorf (der Täter, den man später „findet“, ist zweifellos ein Sündenbock), nicht ein Bürgermeisterkandidat ohne Funktion, und auch der „böse“ Journalist bewirkt wenig.
Die Handlung ist völlig verfahren und konfus und konzentriert sich weniger darauf, daß Josef die Wahrheit von damals auf den Tisch legen will, als auf seine einstige Liebe zu der Dame namens Ragusa, die nun die reiche Witwe des Bäckers ist. Die große Liebe bricht wieder aus, aber auch hier bleibt vieles unklar (ohne wirklich spannend zu sein) – wieso gehörte sie damals zu den Leuten, die erschossen werden sollten? Hat sie vielleicht ihren Mann umgebracht? Wie ehrlich meint sie es mit Josef?)
Dieser hat übrigens – als metaphysisches Einsprengsel – einen kleinen Jungen zum Gefährten, ein Opfer des damaligen Mordes, den er nicht aus dem Kopf bekommt. Ja, und damit noch ein bißchen schauriges Hautgout dabei ist, verdingt sich Josef als Totengräber des Dorfs… Sieht man ihn an, das schmale Handtuch, ist auch das völlig unwahrscheinlich: Wer je nur versucht hat, in seinem eigenen Garten eine kleine Grube zu graben, weiß, welch körperliche Schwerarbeit das ist…
 
Nachdem sich das Geschehen mit seinen zahllosen ziellosen Elementen dahin zieht, wird am Ende absolut nicht alles sichtbar, im Gegenteil, da herrscht dann das wahre Chaos, und das ist dann auch dramaturgische Schlamperei. Daß Josef, um seine Ruhe zu haben und mit der Liebsten weggehen zu können, den Dörflern sein ganzes fotografisches Material aus der Vergangenheit übergibt (die es prompt verbrennen), versteht man ja noch. Wer ihn dann doch umbringen läßt, weniger. Ja, und da ist noch die Geschichte, daß er sein Herz auf der verkehrten Seite hat, er könnte also überleben. Aber nein, der kleine Junge holt ihn. Und seine Geliebte? Die sieht man im Nachspann fröhlich durch die Straßen schlendern. Da hätte einiges präziser erzählt gehört – wobei es die Sache möglicherweise kaum verbessert hätte.
Hauptdarsteller Harald Schrott ist als Josef ein angenehmer, unaggressiver Typ, dem man vor allem die aufblühende neue alte Liebe glaubt, weniger, daß er den Dörflern gefährlich werden könnte. August Schmölzer selbst spielt in der Verfilmung nur eine (unsympathische) Nebenrolle, Es ist überhaupt alles ziemlich strikt schwarz und weiß in der Geschichte. Das gehört neben der klischeehaften Motivik zu den weiteren Schwächen.
 
 
Renate Wagner